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Widerstandskämpfer tot - Erwin Holzwarth mit 96 Jahren gestorben

E. Holzwarth
Widerstandskämpfer Erwin Holzwarth 1995     22.8.1912 - 30.9.2008            Fotos: DGB

17.10.2008 Untertürkheimer Zeitung LUGINSLAND:

(mk) - Ein aufrechter Kämpfer gegen das NSDAP-Unrechtsregime und vermutlich der letzte Beteiligte am Stuttgarter Kabelattentat ist tot. Erwin Holzwarth starb im Alter von 96 Jahren.

Der Luginsländer überlebte acht Jahre in NS-Lagern sowie Gestapo-Haft und setzte sich auch nach 1945 für den antifaschistischen Kampf ein. Mit Alfred Hausser begleitete Holzwarth die alternativen Stadtrundfahrten und diskutierte mit Schülern über das so genannte Dritte Reich und seinen Widerstand gegen die Faschisten.

Bereits mit 19 Jahren organisierte sich der Maschinenschlosser bei der damaligen KPD. 1933 kam er wegen seiner Agitation gegen die Absichten der NSDAP in Haft, wurde von der Gestapo verhört und in das Lager in Heuberg gesteckt. Nach seiner Entlassung schloss er sich der Widerstandsbewegung der Neckarvororte an und war an der Aktion beteiligt, die Hitler wenigstens für einige Zeit zum Schweigen brachte: Hitler hielt in der Stadthalle eine Rede und die Widerstandsgruppe hieb mit einer Axt das Übertragungskabel durch. 1936 wurde Holzwarth wieder verhaftet und wegen Hochverrat zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt. Er kam in Isolationshaft nach Ludwigsburg, überlebte die berüchtigten Moorlager im Emsland und wurde nach Celle verlegt. Während eines Bombenangriffs auf das Gestapo-Gefängnis in Stuttgart gelang ihm 1945 die Flucht. Er tauchte unter.

Nach der Befreiung vom Nazi-Terror dirigierte er für den zentralen Arbeitsausschuss in Gablenberg den Wiederaufbau mit und engagierte sich zudem als Betriebsrat und Gewerkschafter. Als „Überzeugungstäter“ engagierte er sich auch als rüstiger Rentner im Kampf gegen den Faschismus. Auf alternativen Stadtrundfahrten erzählte er als Zeitzeuge mehr als 20 Jahre lang vom Kabelattentat, dem NS-Unrechtssystem und der Zwangsarbeit. Bei etlichen Diskussionen öffnete er vielen Schülern die Augen.

Ende September ist er gestorben, die Urne wurde vorgestern in Untertürkheim bestattet.

E. Holzwarth
Stuttgarter Zeitung 11.10.2008

Der Rebell von Untertürkheim

Die Geschichte von Erwin Holzwarth, der in Stuttgart gegen die Nationalsozialisten gekämpft hat

Stuttgarter Zeitung 27.1.2009

STUTTGART. Am 27. Januar wird in Deutschland der Naziopfer gedacht. Erwin Holzwarth hat zu den Männern gehört, die Hitler 7933 bei seiner Rede in Stuttgart das Wort abgeschnitten haben. Nur mit Glück entging er dem Todeslager. Im vergangenen Jahr ist er gestorben.

Er hat mit seinem Söhnen nie darüber geredet. Sein Schweigen war auch ein Schweigen über die Folter, die Verhaftung, die ständige Angst. Er hat seinen beiden Kindern nicht einmal von seiner größten Tat erzählt, einfach weil sie ihm in seiner politischen Arbeit während des Dritten Reiches zu unbedeutend erschien. Erwin Holzwarth stand Schmiere beim Stuttgarter Kabelattentat.
Als Auftakt für die Reichstagswahl hatte Adolf Hitler am 15. Februar 1933 eine Großkundgebung in Stuttgart organisieren lassen. Bei der Wahlkampfveranstaltung schickte sich Adolf Hitler an, öffentlich zu sprechen. Doch an diesem Tag waren die Straßen nicht nur von Anhängern des Redners voll. Die Kommunisten hatten beschlossen, die Radioübertragung der Rede zu stören. Mit dabei war der gerade 21-jährige Erwin Holzwarth.

Das Übertragungskabel verlief in vier Meter Höhe, unter anderem durch die Werderstraße. Wilhelm Breuninger, Alfred Däuble, Hermann Medinger und Eduard Weinzierl hatten sich verabredet und stiegen über einen Zaun. „Ein paar von uns haben sich mit der SA gebalgt, während Däuble das Kabel durchhackte", sagt Holzwarth später in einem Interview. „Wir als Begleitschutz sind hin und her gelaufen, aber wir brauchten nicht einzugreifen." Gegen 20 Uhr war die Leitung tot und der Redner Adolf Hitler blamiert. Wenig später begann die Gestapo zu ermitteln.

Wenige Wochen nach dem Anschlag wird er verhaftet

Erwin Holzwarth wurde 1912 geboren und wuchs in Stuttgart auf, der Vater stammte aus dem Remstal und die Mutter von der Alb. Der Vater musste seine Bäckerei in Stuttgart-Wangen aufgeben, als er in den Ersten Weltkrieg eingezogen wurde. Nach dem Krieg fasste er nicht mehr Fuß und schlug sich als Hilfsarbeiter beim Daimler durch. Er konnte die sechs Kinder kaum durchfüttern. Sie hausten in Untertürkheim in einer Dreizimmerwohnung: Erwin musste mit seinem Bruder auf der Bühne schlafen, damit die beiden Schwestern ein eigenes Zimmer hatten. Ohne die Lebensmittellieferungen der Verwandtschaft wäre die Familie nicht über die Runden gekommen.

Wie sein Vater wurde auch Erwin Holzwarth bald Gewerkschafter. Und wie sein Vater arbeitete er auch in der Industrie. Mit 16 trat er aus der Kirche aus, mit 18 besuchte er die marxistische Arbeiterschule in Stuttgart. Er lernte, dass man sich selbst engagieren muss, die Politik nicht anderen überlassen darf. Willi Bohn, ein führender Stuttgarter Marxist, hat ihn politisch geprägt. Und der Pfarrer Erwin Eckert, der sich als Christ dem Kommunismus zuwandte. Als der Pfarrer 1931 in der Stuttgarter Stadthalle sprach, trat Holzwarth in die Kommunistische Partie ein. Der damals 19-Jährige wollte die Nazidiktatur unter allen Umständen verhindern.

Seine Lebensgeschichte hat Erwin Holzwarth 1999 in einem Video-Interview hinterlassen, das Mitarbeiter der Steven-Spielberg-Stiftung bei ihrer Recherche zur Holocaust-Geschichte geführt haben. Das fast dreistündige Interview ist ein fesselndes Dokument des Stuttgarter Widerstands. Es enthält auch die schlichte Wahrheit eines Arbeiters: „Bevor ich im Krieg umkomme, werde ich versuchen, ihn zu verhindern", sagt Holzwarth. Von seinen Klassenkameraden sind mehr als die Hälfte im Krieg geblieben. Er hat überlebt.

Schon im März 1933, wenige Wochen nach dem Kabelattentat, wurde er verhaftet und saß im Polizeigefängnis in der Stuttgarter Büchsenstraße. Anfang April kam er ins Konzentrationslager auf den Heuberg. Nach zehn Monaten wurde er entlassen, musste sich alle drei Tage bei der Polizei melden. Er unterschrieb, dass er nichts mehr gegen das Dritte Reich unternehmen werde. Doch Erwin Holzwarth hatte auf dem Heuberg gesehen, wie die SA für den Krieg ausgebildet worden ist. Für ihn war klar: er musste handeln.
Die Widerstandsgruppe, der er sich anschloss, hieß „Neckarland". Zu ihr gehörten etwa hundert Arbeiter aus den Stuttgarter Neckarvororten. Sie hatten eine Schreibmaschine und einen Hektografierapparat in einem Keller versteckt, dort druckten sie Flugblätter. Sie verteilten Informationen über die Kriegsvorbereitungen Hitlers, die sie aus der Schweiz per Kurier erhielten, und sie warnten vor den Nazispitzeln, die in den Blocks lebten. Gleichzeitig sammelten sie Geld, um die Familien von Verhafteten zu unterstützen.
Als es zu riskant wurde, Flugblätter in Briefkästen zu stecken, legte die Widerstandsgruppe die Flugblätter in große Obstkörbe und brachte darunter eine kleine Sprengladung an. Einen der Sprengkörbe zündete Erwin Holzwarth am Stuttgarter Hauptbahnhof. Ein Kampf Davids gegen Goliath, mit einem Unterschied: David unterlag.

Führend im süddeutschen Widerstand waren Alfons und Eugen Wicker, ehemalige Mitarbeiter des Abwehrapparates der Kommunistischen Partei. Was keiner ahnte: sie waren Doppelagenten und arbeiteten zugleich für die Gestapo. Durch die Hinweise der Verräter wurden alle Widerstandskämpfer in Süddeutschland verhaftet. Holzwarth versuchte, sich noch in die Schweiz abzusetzen, doch die Gestapo war schneller. 1938 wurde er zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt. Bei der Urteilsverkündung waren nur die nächsten Angehörigen zugelassen. „Ich hatte Glück gehabt, dass ich nicht zum Tode verurteilt wurde", sagt Holzwarth in dem Interview. Ein zweifelhaftes Glück: sämtliche Häftlinge wurden später in Nazivernichtungslager überstellt.

Holzwarth saß im Ludwigsburger Zuchthaus in Einzelhaft. Ein Pfarrer besorgte ihm ein Russischlehrbuch, und er vertrieb sich die Zeit damit, Vokabeln zu pauken. Alle drei Monate durfte er Besuch empfangen. Die Häftlinge verständigten sich durch Klopfzeichen, wofür er sich vier Wochen Dunkelhaft einhandelte: „Ja nun, das musste man halt durchstehen", sagte er schlicht.
Im Jahr 1939 verlegte man ihn ins Moorlager nach Aschendorf im Emsland, wo er in der Gärtnerei Arbeit bekam. Er blieb ein Kämpfer. Seine Mithäftlinge im Lager versorgte er mit neuesten Nachrichten, die er in verbotenen Rundfunksendern gehört hatte. Schließlich kam er zurück nach Ludwigsburg. Immer wieder musste er dort in Isolationshaft und wurde von der Gestapo bedroht. Nur an einem Tag waren die Leute im Gefängnis respektvoll zu ihm. Das war am 20. Juli 1944, nach dem Hitlerattentat. Für ein paar Stunden war nicht klar, ob die damaligen politischen Gefangenen nicht die neuen Machthaber werden würden, und da haben sie ihn behandelt wie ein rohes Ei. An diesem Tag erfuhr er auch, dass er ins KZ Mauthausen verlegt werden sollte, in ein Vernichtungslager. Das sichere Todesurteil.

Doch es sollte anders kommen. Im September 1944, beim großen Luftangriff auf den Stuttgarter Westen, war der Häftling Holzwarth in der Büchsenstraße untergebracht und wartete auf den Abtransport ins Todeslager. „Plötzlich tut es einen Schlag, und dann war ich mit 150 Mann im Keller verschüttet", erzählt er. Sie wurden ausgegraben und mussten auf dem Karlsplatz antreten. Beim nächsten Luftangriff flüchteten die Häftlinge in das Neue Schloss, von dem aber nur noch die Umfassungsmauer stand. Erwin Holzwarth musste austreten, meldete sich ordnungsgemäß ab und ging auf den Lokus in der Hausmeisterruine. Er kehrte aber nicht in den Keller zurück, sondern floh, während die Bomben fielen, nach Untertürkheim. Zunächst versteckte er sich in den Gipssteinbrüchen, dann ging er zu seiner Mutter.

Ihm gelingt die Flucht über die Schweizer Grenze

Noch immer waren Widerstandsgruppen in Stuttgart aktiv, inzwischen gab es eine Gruppe Esslingen-Göppingen. Sie besorgte ihm Papiere und machte ihn zum Monteur. Bei Bosch fand er eine Arbeit. Als Monteur hatte er einen entscheidenden Vorteil, er konnte reisen. Er traf sich mit einem Kollegen von den Schweizer Aluminiumwerken, der ihm über die Grenze helfen sollte. Holzwarth radelte nach Singen. Er wartete die Nacht ab, robbte unter einem Stacheldraht durch, watete durch einen Bach und kam so schließlich glücklich über die Grenze. Hilfesuchend wandte er sich an eine Schweizer Familie, dummerweise geriet er in das Haus eines Schweizer Grenzers, der ihn verhaftete. Doch ein Redakteur der Schaffhauser Arbeiterzeitung bürgte für ihn. Er bekam Asyl.

So überlebte Holzwarth den Krieg. Im Sommer 1945 kehrte er nach Stuttgart zurück. Er fand eine Arbeitsstelle - und wieder wurde er bespitzelt. Rechtzeitig bevor der Verfassungsschutz seinem Chef Ausweismitteilte, dass Holzwarth Kommunist sei, war er aber bereits zum Betriebsratsvorsitzenden gewählt worden. So konnte man ihm nicht mehr kündigen. Als die KPD in Deutschland verboten wurde, legte Holzwarth alle seine Parteiämter nieder. Die Zeit des Kampfes war für ihn vorbei. Er kaufte ein zerbombtes Haus, baute es auf und gründete eine Familie.

Der Mann, der so lange schwieg, hat in dem Spielberg-Interview eine Art Vermächtnis hinterlassen. „Handle immer so, dass du würdig wirst, glücklich zu sein", sagte er nach Immanuel Kant. Und als ihn die Interviewerin nach seiner Ansicht zur Weltpolitik fragte, antwortete er: „Der amerikanische Imperialismus kann die Probleme der Welt nicht lösen." Das war vor zehn Jahren.

Bis ins hohe Alter war er rüstig - und gesellschaftlich engagiert. Holzwarth begleitete die alternativen Stuttgarter Stadtrundfahrten, diskutierte mit Schülern über das Dritte Reich und den Widerstand gegen die Faschisten. Als er dement wurde, pflegte ihn die Schwieger- tochter. Bis zuletzt. Seine Söhne waren bei ihm, als es im September vergangenen Jahres zu Ende ging. Er ist unruhig geworden, dann haben sie an seinem Bett gesessen und gewartet, bis das tapfere Herz des letzten Stuttgarter Widerstands- kämpfers zu schlagen aufhörte. Erwin Holzwarth wurde in Untertürkheim beigesetzt.

Nach dem Krieg wird Erwin Holzwarth offiziell als Opfer des Naziterrors anerkannt.
„Politische Aktivitäten gegen den Nazismus“
Ausweis von Erwin Holzwarth vom September 1945

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