"Für alle, die gern mit oder ohne Brot Schokolade essen"
Berühmte Verstorbene, die auf den Friedhöfen
unterm Fernsehturm ruhen -
Teil XXXIII: Der Schokoladenfabrikant Ernst Staengel
Blick vom Fernsehturm vom 24.12.2007 - Stuttgarter Zeitung
Degerloch. Gräber sind Orte der Trauer, aber auch des Erinnerns
- an ganz normale und an prominente Menschen. Der Geschichte verstorbener
Prominenter, die auf den Friedhöfen unterm Fernsehturm ruhen,
widmen wir eine Serie. Heute: Ernst Staengel.
Von Jörg Eckstein
"Schokolade ist wunderbar, mild sinnlich, tief, dunkel, üppig,
befriedigend, potent, massiv, cremig, verführerisch, anregend,
prachtvoll, exzessiv, seidig, glatt, luxuriös, himmlisch. Schokolade
ist Ruin, Glück, Vergnügen, Liebe, Ekstase, Fantasie. Schokolade
macht uns böse und schuldig, lässt uns sündigen, macht
uns gesund, elegant und glücklich." Diese Huldigung der amerikanischen
Autorin Elain Sherman an das schwarze Gold zeigt, wie tief sich die
Schokolade in unserer Kultur verwurzelt hat. Vor Jahrhunderten war
sie eine unbekannte exotische Sinnenfreude, ein Geschenk aus den
Urwäldern der neu entdeckten Welt. Sie hat etwas Sündhaftes.
Aphrodisierende Wirkung spricht man ihr zu. Casanova trank Schokolade
statt Champagner. Auch gesund soll sie sein, belebend für Körper
und Geist. Von Goethe sagt man, er habe in der Schokolade eine Quelle
der Inspiration gefunden, er trank sie bis ins hohe Alter. Wir verschenken
Schokolade öfter als Blumen. Schokolade macht süchtig.
Schokolade macht glücklich.
Bis Mitte des 19. Jahrhunderts war Schokolade immer ein Getränk.
Ein sehr reichhaltiges, dem Stärke zum Binden beigemischt wurde,
damit das Fett nicht wie die Augen auf der Hühnerbrühe
oben schwimmt. Ganz ähnlich wie sie schon die Azteken und ihre
Vorgänger tranken. Erst 1828 entwickelte der niederländische
Chemiker Coenraad van Houten eine hydraulische Presse mit der die
Kakaobutter aus den gemahlenen Bohnen gepresst werden konnte. Damit
wurde die Trinkschokolade feiner, es stellte sich aber die Frage,
was mit der wertvollen Butter geschehen sollte. Durch Beigabe von
Zucker, der sich im Fett prächtig löste, und Kakaopulver
entstand eine feste, geschmeidige Masse, die man zu Kuvertüre
oder Speiseschokolade weiterverarbeiten konnte. 1849 kam die erste "Schokolade
zum Essen" auf den Markt und revolutionierte die Schokoladenwelt.
Zu dieser Zeit war Stuttgart heimliche Hochburg der Schokoladenindustrie.
Waldbauer, Moser-Roth, Ritter, Eszet, Haller, Schoko-Buck sind nur
einige Namen. Schokoladenduft lag über der Stadt, als noch
keine Autos fuhren.
Am 7. Mai 1857 begann der Konditormeister Ernst Staengel gemeinsam
mit seinem Schwager Karl Ziller am Furtbachweg Süßigkeiten
herzustellen. Aus den ausgeschriebenen Initialen der Gründer
ergab sich später der Firmenname Eszet. Der 1827 in Stuttgart
geborene Staengel hatte sein Handwerk von der Pike auf gelernt und
in verschiedenen Betrieben im In- und Ausland gearbeitet. Ein echter
Konditor dachte damals als "Kunst und Zuckerbäcker" vor allem
an tausenderlei süße Leckereien, eine raffinierter als
die andere. Nach kurzer Zeit brachte es die kleine Firma auf mehr
als 500 Artikel: Zahlreiche Dessertstücke, Pralinen und Bonbons,
Weihnachtsgebäck, Ostereier und etliche Sorten Trink- und Speiseschokolade.
Schokolade war damals noch ein glamouröses Vergnügen der
Schönen und Reichen. Staengel belieferte auch den Hof des württembergischen
Königs. Exquisit und immer neu mussten die Kreationen sein.
Goethe, der ja ein Freund der süßen Raffinesse war, scherzte
einmal: "Die Menschheit, merk ich, mag noch so sehr zu ihrem höchsten
Ziele vorschreiten, die Zuckerbäcker rücken immer nach."
Mit dem Heraufziehen der Jahrhundertwende änderten sich die
Produktionsbedingungen und die Bedürfnisse des Marktes grundlegend.
Viel, nicht viel Verschiedenes war die Devise. Gegen den heftigen
Wiederstand des Vaters verfolgten Staengels Söhne unbeirrbar
den Weg der Rationalisierung und Automatisierung und fast alle
von Staengels kleinen Kreationen verschwanden. 1919, drei Jahre
nach seinem Tod, wurden von den ursprünglich 500 Artikeln
noch ganze zwei Sorten Schokolade hergestellt. 1933 kamen die Eszet-Schokoladen-Schnitten
auf den Markt. Einige werden sich noch an die dünnen Täfelchen "für
alle, die gern mit oder ohne Brot Schokolade essen", wie es in
der zeitgenössischen Werbung hieß, erinnern. Über
Jahrzehnte gehörte "Eszet" zu den beliebtesten deutschen
Schokoladenmarken. Mitte der 70er ging das Unternehmen insolvent
und wurde von der Kölner
Stollwerk-AG übernommen.
Ernst Staengels Grabstätte befindet sich auf dem Waldfriedhof
in Abteilung 5C. Nach dem Haupteingang geht man geradeaus und biegt
nach etwa 200 Metern rechts ab. Es ist die erste Grabstätte
rechter Hand.
Foto
de Grabstätte in Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Staengel
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