Stuttgarter Zeitung, 24.06.2006
Überbleibsel aus finsterer Zeit
Altes Weingärtnerhaus in Untertürkheim revitalisiert
Im Dreißigjährigen Krieg wurde fast ganz Untertürkheim ein Raub
der Flammen. 280 Häuser verbrannten. Die Wohnungsnot war groß. Die
Menschen mussten zusammenziehen, und es bildeten sich Hausgemeinschaften verwickelter
Art. Ein Überbleibsel jener stockwerksweisen Besitzgemeinschaft hat sich über
die Jahrhunderte im Hause Trettachstraße 14 erhalten.
Auf den ältesten, noch existierenden Bauunterlagen aus dem Jahre 1911 sind
vier besitzende Parteien verzeichnet. Alteingesessene und traditionsreiche Weingärtnerfamilien
wie die Burkhardsmeiers, die als "Wengerter" aus Grunbach zugewandert
und spätestens im 18. Jahrhundert im Ort nachweisbar sind. 2005 nun haben
die Erben der einstigen Stockwerkseigentümer das Gebäude, das heute
unter Denkmalschutz steht, an den Bauträger Planbau Schwaben verkauft, saniert
und modernisiert wurde es nach Plänen des Stuttgarter Architekturbüros
Ostertag & Vornholt. Gewonnen wurden insgesamt sieben, zwischen 55 und 120
Quadratmeter große Wohnungen, die sogar Stellplätze im Hof
haben.
Das wohl frühere Weingärtnerhaus, nahe der spätgotischen Dorfkirche,
im ehemaligen Kirchgässle (1936 in Trettachstraße umbenannt), gehört
zum historischen Ortskern des einstigen Weingärtnerdorfes, das 1905 nach
Stuttgart eingemeindet wurde. Mit dem Überschwemmungsgebiet des Neckars
vor sich und den Berghängen im Rücken, standen die Häuser in Untertürkheim
schon immer dicht beieinander. Mit ganz wenig Garten am Haus. Lediglich ein knorrig
stämmiger Fliederbusch ziert das zweigeschossig verputzte Fachwerkwohnhaus.
Es besteht aus zwei Baukörpern mit mehreren giebel- und traufseitigen Vorstößen
und hohen Satteldächern. Eckstuben sind zum Teil ablesbar. Die sichtbare
Bausubstanz lege die Datierung des Gebäudes in das 17. Jahrhundert, in die
Wiederaufbauphase des Dorfes nach den kriegerischen Zerstörungen,
nahe, endet die Denkmalbeschreibung.
"Das Haus wurde sehr oft umgebaut und an die jeweiligen Bedürfnisse
angepasst", erklärt der Architekt Johannes Vornholt. Bis auf die "versaute" Holztreppe
und einen ungewöhnlich starken Hauptträger aus Eiche sei man im Hausinneren
auf wenig Originäres gestoßen. Gefache seien schon lange entfernt
und die Geschosshöhen verändert worden. Statisch aber unbedenklich,
war doch beim alten Fachwerkbau das Bauholz so kräftig dimensioniert, dass
selbst bei einem Verlust von 50 Prozent der Substanz das Restgefüge oft
noch hinreichend Stabilität besaß. Fachwerkstypische Abbund- oder
andere Zeichen, die auf das genaue Entstehungsjahr schließen lassen, habe
man keine gefunden. Am ältesten sind vermutlich die beiden Gewölbekeller.
Bis in die 1960er-Jahre hinein lagerten hier stattliche Wein- und Mostfässer.
Die Erhaltung des Hauses erfolgte aus öffentlichem und wissenschaftlichem
Interesse. An der Fassade zur Gasse hin durfte nichts verändert werden.
Weil das Fachwerk die letzten Jahre verputzt war - hier zu Lande seit dem
Mittelalter durchaus häufig -, genießt der Putz Bestandsschutz. So
konnte das Gebäude von außen gedämmt werden. Damit die giebelseitige
Türe leise und sicher schließt, wurde ihr barockes, rautenförmig
aufgedoppeltes Türblatt aus dem 18. Jahrhundert aufgearbeitet.
Umfangreicher waren die Bauarbeiten im Erdgeschoss. Um im ehemaligen
Schweinestall eine Raumhöhe von zwei Meter vierzig zu erzielen, musste der Boden abgesenkt
werden. Jetzt sind beide Erdgeschosswohnungen barrierefrei zugänglich, mit
einem kleinen Garten nach hinten oder einem nach vorne raus. Die Bäder sind
behindertengerecht, ausgestattet mit versteckt höhenverstellbaren Waschbecken
in schönem Design. Die ebenfalls zwei Wohnungen im ersten Stock haben einen
Balkon zum Hof. Die drei Mansardenwohnungen gehen über zwei Stockwerke.
Viel Tageslicht fällt durch Dachfenster und neu hinzugekommene Gauben.
Das Dach wurde neu gedeckt.
"Ich bin ein Spezialist für die Revitalisierung von denkmalgeschützten
Gebäuden", sagt Matthias Korff von der Korff Projektentwicklungs-Gesellschaft, "und
da werde ich in ganz Deutschland dazugeholt." Im Jahr stelle er gut 2000
Wohnungen her. Mit wechselnden Bauträgern und verschiedenen Vertriebspartnern.
Die 140 000 bis 300 000 Euro teuren Eigentumswohnungen in der Trettachstraße
hat er selber vermarktet. Generell sei die Zusammenarbeit mit ortsansässigen,
erfahrenen Architekten, die sich nicht allein auf ihr CAD-Programm verließen,
sehr wichtig. "So ein altes Fachwerkhaus ist ja nicht im rechten
Winkel."
Nicht immer sind die Behörden mit Korffs Vorhaben einverstanden. Beim Ausbau
eines Dachgeschosses wurde ihm auch schon mal gedroht: "Wenn du nur einen
einzigen Balken anfasst, nehmen wir das Gebäude von der Denkmalliste runter." Ist
es von der Liste, kann man es abreißen. Der Denkmalschutz erlischt ferner
bei Gebäuden, die wirtschaftlich nicht tragfähig, ohne Nutzung oder
deren Instandhaltungs- oder Sanierungskosten zu hoch sind. Doch meist sei die
Sanierung günstiger als ein Neubau. Selbst bei hochwertiger Ausstattungsqualität
baue man um die Hälfte billiger, nicht zuletzt weil man jedes Jahr eine
staatliche Förderung von drei Prozent erhält.
Trotzdem nichts für Schnäppchenjäger. "Denkmalgeschützte
Immobilien kaufen nur Skeptiker", die sich sehr intensiv mit dem Denkmal
auseinander setzen, weiß Korff aus zehnjähriger Erfahrung. "Nachher,
wenn es realisiert ist, flippen die Leute dann meist aus." Regine
Gerst
Das wohl frühere
Weingärtnerhaus, nahe der spätgotischen Dorfkirche im ehemaligen Kirchgässle
(1936 in Trettachstraße umbenannt) gehört zum historischen Ortskern
von Untertürkheim, das 1905 nach Stuttgart eingemeindet wurde. Im Lauf der
Jahrhunderte wurde das heute unter Denkmalschutz stehende Gebäude oft unsachgemäß umgebaut.
Jetzt lebt's sich modern im aufwendig
sanierten und renovierten alten Gemäuer. Das historische Motiv stammt etwa
aus den fünfziger Jahren des
vorigen Jahrhunderts.
Fotos: Enslin
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