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Ein Rebell voller Zärtlichkeit und HingabeMit Helmut Palmer ist auch ein großer Freund Nürtingens gestorben -
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"Remstal-Rebell" Helmut Palmer gestorben - Pomologe erlag einem Krebsleiden | ||
Geboren am 8. Mai 1930 in Stuttgart-Untertürkheim, † 24. Dezember 2004 in Tübingen
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Helmut
Palmer und Boris
Palmer über Aufmüpfigkeit und die Justiz, über Parteien und politisches Einzelkämpfertum - und die Gefühlswelt im Verhältnis von Vater und Sohn |
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"Vater trägt Verletzungen in sich,
die ihn ausser Rand und Band bringen" |
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Aus der Stuttgarter Zeitung vom 28.2.2003 WAIBLINGEN Hier der Vater Helmut, der Remstalrebell, der seit Jahrzehnten wider die Obrigkeit löckt und auch im Alter nicht milde wird; dort sein Sohn Boris, der im eigentlichen Sinn Karriere gemacht hat und als Tübinger Landtagsabgeordneter zum politischen Establish- ment zählt: Bei den Palmers scheint das herkömmliche Vater-Sohn-Bild auf den Kopf gestellt. Stimmt das? Was sind die Unterschiede, was die Gemeinsamkeiten ihrer politischen Motivation, was sind die biografischen und gedanklichen Wurzeln für die jeweilige Art des Sicheinmischens? Am Mittwochabend haben Vater und Sohn Palmer bei einer öffentlichen Veranstaltung vor 150 Zuhörern im bis auf den letzten Platz gefüllten Saal des Kulturhauses Schwanen in Waiblingen zwei Stunden lang über diese auch sehr persönlichen Fragen gesprochen. |
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Helmut
Palmer Am 8. Mai 1930 in Stuttgart-Untertürkheim geboren, bezeichnet er sich selbst als Bürgerrechtler und Pomologe und ist im ganzen Land eine bekannte Größe. |
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Helmut Palmer |
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Moderiert
hat der StZ-Redakteur Achim Wörner. Helmut Palmer: Die Sache geht zurück auf eine Veranstaltung zur Oberbürgermeisterwahl in Villingen-Schwenningen im vergangenen Jahr. Ich sollte ohne Grund den Saal verlassen. Als ich mich geweigert habe, hat der Veranstalter die Polizei geholt - was ich noch ertragen hätte. Als dann aber von einem der Beamten das Wort Platzverbot fiel, war"s für mich vorbei, und ich habe mich mit "Heil Hitler, auf Wiedersehen" verabschiedet. Nach mehr als 50 Prozessen wegen Beleidigung müssten Sie die Reaktionsmuster der Ordnungshüter und der Justiz allmählich kennen. Sind Sie unverbesserlich? Helmut Palmer: Wissen Sie, das Wort Platzverbot kenne ich aus der Nazizeit. Damals hat es Platzverbote vor allem für Juden gegeben. Und deshalb kann ich in solchen Fällen meinen Groll nicht in mich hineinfressen. Nicht ich habe die Polizisten beleidigt, diese haben mich beleidigt. Boris Palmer, wie stehen Sie zu den Wiederholungstaten Ihres Vaters? Boris Palmer: Manchmal muss ich schmunzeln, jedenfalls wenn mein Vater davon erzählt. Aber wenn aus den Geschichten Prozesse und aus den Prozessen Gefängnisstrafen werden, dann ist das schwer erträglich. Was ärgert Sie mehr: die Unverbesserlichkeit Ihres Vaters oder der Verfolgungsdrang der Justiz? Boris Palmer: Nehmen Sie Villingen-Schwenningen: die Staatsanwaltschaft wollte in Kenntnis des Sachverhalts und in Kenntnis der Wirkung, die dieser Prozess auf meinen Vater haben wird - nämlich alles andere als Besserung -, auf die Eröffnung eines Verfahrens verzichten. Sie erkennt kein öffentliches Interesse an einer Strafverfolgung . . . . . . und nun widersetzt sich der Richter. Boris Palmer: Das ist deshalb spannend, weil dieser sich schon in anderen Fällen einen Namen gemacht als harter Hund und eine ähnliche Profilneurose an den Tag legt wie Ronald Schill in Hamburg. Dem kommt der Palmer gerade recht, weil er noch nie der Meinung war, dass Aufmüpfigkeit belohnt werden sollte. Wenn aber so jemand seine zentrale Stellung ausnutzt, um eine Lappalie hochzuziehen, statt sie zu beenden, dann stellt das Fragen an den Rechtsstaat. Hoppla, Sie haben ja auch rebellische Züge. Bisher sind Sie als eher ruhiger Zeitgenosse bekannt gewesen. Boris Palmer: Ach, Sie haben meine Auftritte im Landtag noch nicht erlebt. Da gelte ich als besonders lauter Zwischenrufer. Also doch ein Palmer. Boris Palmer: Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Aber Sie haben auch Recht: Ich kann laut werden, trage aber nicht Verletzungen in mir, die mich - wie bisweilen meinen Vater - außer Rand und Band bringen könnten. Immerhin, Sie gehören einer Partei an, die zumindest früher einmal aufmüpfig war. Wie sind Sie zu den Grünen gekommen? Boris Palmer: Ich habe mich - geprägt durch meinen Vater - früh für Politik im weitesten Sinne interessiert; ich habe mich in jungen Jahren engagiert, etwa in der Schülerzeitung. Und weil Umweltfragen immer meine Triebkraft waren, kamen nur die Grünen in Frage. Warum sind Sie Parteipolitiker geworden? Boris Palmer: Der Einstieg erfolgte an dem Punkt, an dem ich gemerkt habe, dass ich als Einzelner Schwierigkeiten habe, wirklich etwas zu bewegen. Es gibt keinen parteiunabhängigen Landtagsabgeordneten, auch keinen Bundestagsabgeordneten. Helmut Palmer: Leider. Boris Palmer: Einverstanden, aber es gibt nun mal keine. Und ich erinnere mich auch nicht, wann es den letzten unabhängigen Abgeordneten gegeben hat. Mit einer Partei im Rücken gehen die Wirkungsmöglichkeiten ohne Zweifel weit über die eigene Person hinaus. Helmut Palmer, Sie sind vor wenigen Monaten in die SPD eingetreten. Späte Einsicht? Helmut Palmer: Damit hat das nichts zu tun. Ich habe schlicht Schutz gesucht, nachdem ich im vergangenen Jahr fünfmal verhaftet worden bin. Und natürlich habe ich mich auch aus Überzeugung für die SPD entschieden, die Partei meines Freundes Hermann Scheer. Ich finde es eine Schande für Waiblingen, dass bei der Bundestagswahl der geleckte CDU-Kandidat Pfeiffer gewonnen hat. Sie waren zeitlebens politischer Einzelkämpfer, durchaus auch mit Erfolg. In Schwäbisch Hall wären Sie 1974 fast Oberbürgermeister geworden. Helmut Palmer: Das höre ich überall: Herr Palmer, Sie wären fast Oberbürgermeister geworden. Die etablierten Parteien haben beschissen, da ist kein Zweifel. Den ersten Wahlgang habe ich mit 40,5 Prozent klar gewonnen. Und wenn sich die Parteien nicht abgesprochen und einzelne Kandidaten zurückgezogen hätten, wäre ich auch am Ende als klarer Sieger hervorgegangen. Mehr als 200 Wahlkämpfe haben Sie absolviert. Das war verbunden mit einem enormen zeitlichen, finanziellen, organisatorischen Aufwand. Wie haben Sie das physisch und psychisch durchgestanden? Helmut Palmer: Die Wahlkämpfe haben mich zu einem armen Mann gemacht. Aber man sagt mir nicht ohne Grund nach, ein Leben wie sieben Teufel zu haben. Nur ein Beispiel: vor vierzehn Tagen, bei meiner letzten Operation, wäre ich fast gestorben. Die Ärzte haben mir literweise vergifteten Urin aus dem Bauch geholt; zwei Tage später war ich wieder im Fernsehen. Für diesen Auftritt habe ich im Übrigen gebetet: Das ist nicht meine Energie, das ist ein Geschenk. Ihre politischen Auftritte auf den Märkten quer durchs Land sind legendär. Was haben Sie von den Menschen gespürt? Helmut Palmer: Die Beamten und Bürgermeister habe ich aufgeschreckt - und vom Volk stürmischen Beifall erhalten. Das habe ich genossen, auch weil meine Auftritte nicht ohne Folgen geblieben sind. Wenn Sie wüssten, wie viele Baugesuche, die jahrelang verschleppt worden waren, in Schwäbisch Hall zwischen dem ersten und zweiten Wahlgang plötzlich genehmigt worden sind. Ich habe den Leuten geraten, aufs Rathaus zu gehen, dem Beamten zu sagen, dass der Palmer raufkommt, wenn nicht sofort der Genehmigungsstempel gegeben wird. Das hat gewirkt. Boris Palmer, Sie mussten in der Jugend morgens häufig um drei Uhr aus den Federn, um Ihren Vater auf die Märkte zu begleiten. Hat das Spaß gemacht? Boris Palmer: Unbedingt. Wer früh aufsteht, hat etwas vom Tag. Und der offene Kontakt zu Menschen, der auf den Märkten gepflegt wird, kann auch in der Politik sehr nützlich sein. Es ist in der Tat leichter, Kirschen anzupreisen als grüne Parteiprogramme. Und dann ist es gut, wenn man wenigstens schon weiß, wie das mit den Kirschen geht. Das klingt reichlich idealistisch. Wie war das Verhältnis zu Ihrem Vater? Boris Palmer: Ich bin mit meinem Vater zeitlich viel zusammen gewesen, im Sommer auf dem Markt, im Winter beim Baumschneiden. Ein Gefühl von Geborgenheit aber hat er uns Kindern nicht gegeben, dafür war die Mutter zuständig. Sie haben einmal gesagt, in der Waldorfschule hätten Sie sich geborgen gefühlt. Boris Palmer: Die Schule war mein zweites Zuhause. Dort habe ich bei Lehrern und Freunden menschliche Kontakte jenseits von Arbeit, Politik und Beruf erlebt. Gab's bei Palmers so etwas wie ein normales Familienleben mit Ausflügen, Urlaub? Boris Palmer: Sonntagsausflüge haben wir schon gemacht, aber eher selten. Sonntags waren ja häufig auch Wahlen, da waren mein Bruder Patrick und ich mit Muttern allein. Haben Sie gewusst, dass Ihr Vater Ihr Abiturzeugnis an Zeitungsredaktionen gefaxt hat vor lauter Stolz? Boris Palmer: Mein Vater ist ein unordentlicher Mensch. Die Faxe lagen bei uns immer im Wohnzimmer auf dem Boden, und so habe ich auch dieses Fax zu Gesicht bekommen. Persönlich erfahren habe ich dieses Lob aber erst sehr viel später. Helmut Palmer, haben Sie Ihren Söhnen zu wenig Liebe gezeigt? Helmut Palmer: Ganz klar. Sie selbst hatten eine schwierige Kindheit. Sie sind als uneheliches Kind eines jüdischen Vaters geboren worden und dann bei den Großeltern aufgewachsen. Hat das Spuren hinterlassen? Helmut Palmer: Das hat mich ohne Zweifel geprägt, am meisten wohl das Stigma, Halbjude zu sein. Die älteren Bürger, die Sonntag für Sonntag zur Kirche gegangen sind, haben mich immer gefragt: Gell, Juden stinken - und das zu einem Zeitpunkt, zu dem ich selbst noch gar nicht wusste, dass ich jüdischer Abstammung bin. Ich habe dann immer Nein gesagt, was heftige Lacher ausgelöst hat. Darunter leiden Sie bis heute? Helmut Palmer: Ich wäre über diese Sache hinweggekommen, wenn die Wunden nicht jeden Tag neu aufgerissen würden. Der Antisemitismus in diesem Land ist längst nicht überwunden. Das hat damit angefangen, dass nach dem Krieg stramme Nazis um einen Persilschein gebettelt haben. Das hat mich angeekelt. Und bis heute werde ich mit Vorurteilen konfrontiert, die im Blick auf die Juden existieren. Ein Beispiel: ich habe neulich eine Leiter gekauft und hatte den Geldbetrag nicht dabei. Der Verkäufer, ein guter Bekannter, hat zu mir gesagt: Aber Helmut, gell, du zahlsch. Einen anderen als den Halbjuden Palmer hätte er das nicht gefragt. Nun sind Sie nicht nur politisch einen eigenen Weg gegangen, sondern auch im Obstbau - und haben in Württemberg den Öschbergschnitt eingeführt. Um diese Technik herrscht bis heute ein regelrechter Glaubenskrieg, der ganze Gartenbauvereine spaltet. Woher rührt die Kontroverse? Helmut Palmer: Meine Gegner haben früher einen üblen Witz verbreitet: Kennt ihr auch den Unterschied zwischen dem Adolf und dem Palmer? Der Adolf macht die Leut heh und dr Palmer d" Bäum. Das war eine Beleidigung, die mich in manchen schlaflosen Nächten manche Träne gekostet hat. Boris Palmer, beherrschen Sie den Öschbergschnitt schon? Boris Palmer: Ich kann das Prinzip in einem Satz erklären: Beim Baumschneiden ist es wie in der Politik, man muss die Oberen stutzen, damit die Unteren, Kleinen Licht bekommen. Den Satz habe ich schon als Zehnjähriger gesagt. Letztes Jahr habe ich erstmals selbst einen Schnittkurs gegeben. Von welchem Zeitpunkt an haben Sie denn begonnen, sich von Ihrem dominanten Vater abzunabeln? Boris Palmer: Wie alle Palmer-Kinder relativ spät. Wir haben uns schwer getan, Widerspruch zu äußern und Nein zu sagen. Einige haben dann auch für einige Jahre den Kontakt ganz abgebrochen. Sie sind im Alter von 21 Jahren nach Tübingen umgezogen. Boris Palmer: Auch wir haben den Kontakt einige Jahre sehr auf Sparflamme gehalten. Das hat uns geholfen, uns wieder anzunähern. In diesen Jahren habe ich meine Rolle gefunden und sehe die Dinge klarer. Vieles, was mein Vater erlebt hat, erklärt sein Sein. Sein Engagement ist bewundernswert, die vielen schlimmen Erlebnisse in Kindheit und Jugend, aber eben auch als Erwachsener sind bedauernswert. Das macht manche Defizite, die ich als Sohn erlebt habe, erträglich. Passiert es Ihnen eigentlich häufig, dass Sie auf Ihren Vater angesprochen werden? Boris Palmer: Ständig. In Tübingen fing das bei der Kreissparkasse an, als ich ein Girokonto eröffnete. Der Sachbearbeiter hat mich nicht nach dem Einkommen oder nach der gewünschten Höhe des Dispokredits gefragt, sondern ob ich der Sohn vom Palmer sei. Und? Haben Sie das Konto bekommen? Boris Palmer: Der Mann war glücklicherweise Palmerfan. Aber ich habe wegen meiner Herkunft auch schon Prügel bezogen. Ist der Name eine Belastung? Boris Palmer: Keineswegs, ich habe gelernt, damit zu leben. Immerhin haben Sie ja etwas geschafft, was Ihrem Vater bisher weit gehend verwehrt geblieben ist: nämlich die breite öffentliche Anerkennung. Wie geht es Ihnen damit, Helmut Palmer, dass Ihr Sohn solch eine Karriere gemacht hat? Helmut Palmer: Es tut mir Leid, dass sein Bruder Patrick nicht auch in die Politik gegangen ist. Denn Boris hat gezeigt, dass man mit dem Namen Palmer weit kommt. Was die Frage nicht beantwortet. Helmut Palmer: Wenn mich einer fragt, was hast du denn schon erreicht, dann antworte ich: Viel, denn ich habe wenigstens einen im Landtag, der mich vertritt . . . Boris Palmer: . . . und 200 000 Bürgerinnen und Bürger im Wahlkreis Tübingen. Das mehr als zweistündige Gespräch
ist für den Zeitungsdruck gekürzt und bearbeitet worden. Wir
danken Helmut und Boris Palmer für die rasche Autorisierung der Textfassung.
Cornelius Wandersleb und Berthold Becker vom Kulturhaus Schwanen danken
wir für die Idee zum Palmerabend und die technische Unterstützung
bei der Aufzeichnung des Gesprächs. |
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FORTSETZUNG => TEIL 2 "Meine mehr oder weniger verehrten Mitkandidaten, liebe Manipulierte" |
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