Arnulf Klett schafft 1954 traumhafte 80 Prozent der Stimmen -
1974 die höchste Wahlbeteiligung mit 64,5 Prozent
Mit OB-Wahlen haben Stuttgarts Bürger wenig Erfahrung. Denn seit 1948 hat es nur sieben Wahlen mit zehn Urnengängen gegeben - und nur drei Amtsinhaber in knapp sechzig Jahren. Trotzdem verliefen die Wahlkämpfe und die Wahltage stets spannend, manchmal dramatisch.
Von Thomas Borgmann
"Ich bin Rechtsanwalt von Beruf und habe gerade das Schwabenalter erreicht." Mit diesem oft zitierten Satz stellte sich im April 1945 der neue Oberbürgermeister Arnulf Klett seinen Bürgern vor. Wenige Wochen nach der Kapitulation und dem Zusammenbruch des Dritten Reiches war an demokratische Wahlen noch nicht zu denken. Die französische Besatzungsmacht hatte den unbescholtenen Anwalt, der Nazigegner verteidigt und in Schutzhaft gesessen hatte, ins Amt eingesetzt. Als die Amerikaner Monate später die Franzosen ablösten, vertrauten die Klett und beließen ihn in seiner Position. Für alle Entscheidungen brauchte er die Erlaubnis der Militärregierung.
Erste Wahl 1948: Drei Jahre hatte Arnulf Klett amtiert, dann musste er sich zum ersten Mal der Bürgerschaft stellen. Am 7. März 1948 war es so weit. Zwei Kandidaten standen auf dem kleinen Stimmzettel: der parteilose Amtsinhaber und der Sozialdemokrat Josef Hirn, Bürgermeister und Stadtkämmerer. Knapp 285 000 Menschen waren stimmberechtigt - 16 700 Bürgern blieb wegen ihrer Nazivergangenheit das Wahlrecht noch verwehrt. Klett bekam 53,9 Prozent, Hirn 46,1 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag bei 57,9 Prozent.
Zweite Wahl 1954: Sechs Jahre später, Stuttgart stand mitten im Wiederaufbau, blieb das Interesse der Bürger gering, denn alle wussten, dass Klett haushoch gewinnen würde. Sein Gegenkandidat Rudolf Kohl von der Kommunistischen Partei blieb chancenlos. Mehr als 390.000 Menschen waren stimmberechtigt, aber nur 40 Prozent gingen zu den Urnen. Klett erhielt traumhafte 80,0 Prozent, Kohl lediglich 13,3 Prozent. Doch weil man traditionell (bis heute) auch Leute wählen darf, die gar nicht auf dem Stimmzettel stehen, erhielt der Nazi-OB Strölin 5.600 Proteststimmen, der legendäre Reinhold Maier immerhin 2.225.
Dritte Wahl 1966: Warum es zwölf Jahre dauerte, ehe sich Klett erneut stellen musste, hängt mit der damals gültigen Kommunalverfassung zusammen: Die bestimmte landesweit, dass die erste Amtszeit des Bürgermeisters acht Jahre betrug, die zweite und jede weitere sogar zwölf Jahre. Erst in den Siebzigern wurde die Amtszeit generell auf acht Jahre reduziert.
1966 erlebte Stuttgart die erste wirklich spannende OB-Wahl, denn Arnulf Klett hatte sich einige Eskapaden geleistet: Daimler-Benz hatte ihm einen wertvollen Perserteppich geschenkt, den er erst nach allerlei Hickhack der Stadt überließ. Noch stärker hatte ihn der "Bürkle-Skandal" belastet. Im Kreditausschuss der Girokasse hatte Klett dafür gestimmt, einem befreundeten Unternehmer Millionen zu bewilligen - der ging trotzdem pleite, Klett wurde vor Gericht zu jahrelangen Zahlungen verurteilt.
Dennoch verzichteten CDU und SPD wegen der Verdienste des Nachkriegs-OB auf Gegenkandidaten. Dafür bewarben sich FDP-Stadtrat Manfred Nopper und Stadtrat Eugen Eberle, ein ehemaliger Kommunist, der als gebildeter Linker jahrzehntelang sogar Unterstützung von Bewohnern der Halbhöhenlage besaß. 420.000 Bürger waren stimmberechtigt, zum ersten Mal gab es die Briefwahl. Am 16. Januar 1966 erhielt Klett 54,8 Prozent, Nopper 28,6 Prozent und Eberle 15,8 Prozent. Doch wegen einer gesetzlichen Raffinesse war eine Neuwahl am 30. Januar vonnöten. Klett hatte zwar die absolute Mehrheit bekommen, aber er hätte zusätzlich mehr als ein Drittel aller stimmberechtigten Bürger auf sich vereinigen müssen. Weil aber nur 42,3 Prozent zur Wahl gegangen waren, fehlten ihm mehr als 43.500 Stimmen. Nachdem Eugen Eberle zurückgezogen hatte, sah das Ergebnis der Neuwahl so aus: Klett siegte mit 59,6 Prozent, Nopper bekam 39,5 Prozent - ein Resultat, dessen sich Manfred Nopper, längst bei der CDU, noch heute rühmt.
Vierte Wahl 1974: Nachdem Arnulf Klett im August gestorben war, erlebte Stuttgart seine erste, rein parteipolitisch geprägte Oberbürgermeisterwahl. Die CDU drängte den bis dato öffentlich unbekannten Manfred Rommel zur Kandidatur, den Stellvertreter von Finanzminister Robert Gleichauf.
Für die SPD ging der Bundestagsabgeordnete Peter Conradi ins Rennen, ein Parteilinker, der bei der Abstimmung zur Nominierung den eher konservativen Jürgen Hahn hinter sich gelassen hatte, den Ersten Bürgermeister und langjährigen Stellvertreter Kletts. Für die FDP trat der frühere Waiblinger OB und Stuttgarter Stadtrat Kurt Gebhardt an. Natürlich wollte auch "Remstalrebell" Helmut Palmer nicht fehlen. Insgesamt standen 14 Bewerber auf dem Stimmzettel.
Das Interesse war riesengroß, mehr als 400.000 Bürger waren stimmberechtigt, 64,4 Prozent gingen am 10. November 1974 an die Urnen. Für Rommel votierten 44,2 Prozent, für Conradi 31,2 Prozent, für Gebhardt 16,8 Prozent und für Palmer 2,7 Prozent. Also gab es am 1. Dezember 1974 eine Neuwahl, bei der Kurt Gebhardt verzichtete. Die Wahlbeteiligung steigerte sich ein wenig auf die Rekordmarke von 64,5 Prozent. Rommel siegte mit klaren 58,9 Prozent, Conradi musste sich mit 39,5 Prozent geschlagen geben. Helmut Palmer war über seine 0,7 Prozent sichtlich enttäuscht.
Fünfte Wahl 1982: Manfred Rommels erste Wiederwahl war im Grunde nur eine Formsache. Trotzdem gingen 62,7 Prozent der Stimmberechtigten an die Urnen. Der populäre OB, bereits bundesweit bekannt, erhielt am 7. November auf Anhieb 69,8 Prozent der Stimmen, sein junger SPD-Gegenkandidat Ulrich Maurer achtbare 24,7 Prozent. Der allererste Grünen-Bewerber, Stadtrat Guntram Ehrlenspiel, endete mit mageren 3,8 Prozent. Die Grünen hatten die kommunalpolitische Bühne gerade erst betreten.
Sechste Wahl 1990: Auf der Höhe seiner Karriere als bekanntester deutscher Kommunalpolitiker erzielte Manfred Rommel am 4. November ein Ergebnis, das an die hohe Zeit seines Amtsvorgängers Arnulf Klett erinnerte. Von den 380.000 Wahlberechtigten gaben nur 50,2 Prozent ihre Stimme ab - 71,7 Prozent davon wählten den Amtsinhaber, 20,7 Prozent den Grünen Rezzo Schlauch, Anwalt und Landtagsabgeordneter.
Siebte Wahl 1996: Als Manfred Rommel nach 22 Amtsjahren abtrat und zum Ehrenbürger ernannt worden war, folgte die spektakulärste OB-Wahl der Stadtgeschichte, noch stärker parteipolitisch geprägt als 1974. Rommel hatte in der CDU seinen Ziehsohn Wolfgang Schuster durchgesetzt, für die SPD trat der Landtagsabgeordnete Rainer Brechtken an, für die Grünen erneut Rezzo Schlauch. 394.000 Menschen waren stimmberechtigt, 53,2 Prozent beteiligten sich. Schuster erhielt 35,2 Prozent, Schlauch 30,6 Prozent, Brechtken nur enttäuschende 22,6 Prozent.
Vor der Neuwahl am 10. November 1996 warf plötzlich der damalige Pforzheimer OB Joachim Becker (SPD) seinen Hut in den Ring - ein Debakel für die Partei. Becker endete kläglich bei 3,4 Prozent, Brechtken bei 13,5 Prozent. Den erbitterten Zweikampf an der Spitze entschied Wolfgang Schuster mit 43,1 Prozent für sich - 8000 Stimmen dahinter Rezzo Schlauch mit 39,3 Prozent.