Stuttgarter Zeitung, 27.08.1996
Stuttgarts Stadtoberhäupter im
Wandel der Zeit
Karl Lautenschlager: Dieser ehrenwerte Mann aus dem konservativen
Lager, Jahrgang 1868, wurde 1911 mit 13 154 Stimmen gewählt -
und lange Jahre später unverschuldet zu einer tragischen Figur.
Die Stuttgarter liebten diesen integren Kommunalpolitiker, der sie
durch die Probleme des Ersten Weltkriegs und der Weltwirtschaftskrise
führte. 1921 und 1931 wurde er mit großen Mehrheiten wiedergewählt.
Doch 1933 jagten ihn die Nazis aus dem Amt. Als der Krieg 1945 zu Ende
war, war Lautenschlager 77 Jahre alt. Im September 1945 verlieh ihm
der neue Gemeinderat die Ehrenbürgerschaft. Lautenschlager starb
1952.
Stuttgarts Oberbürgermeister (7): Karl Lautenschlager
Ein Opfer der Machtergreifung
Drei honorige Herren stritten sich am 12. Mai 1911 um die Nachfolge
des Heinrich von Gauß: Göppingens Oberbürgermeister
Julius Keck von der Volkspartei, Hugo Lindemann von der SPD und Karl
Lautenschlager, der Kandidat der Konservativen und Nationalliberalen.
Keck war mit nur 3.366 Stimmen weit abgeschlagen, Lindemann erzielte
12.278 Stimmen und lag damit ziemlich knapp hinter Karl Lautenschlager,
der von 13.154 Bürgern gewählt wurde. Bis heute ist kein
Sozialdemokrat mehr so nah an das Amt des Oberbürgermeisters
herangekommen wie dieser Hugo Lindemann. übrigens, die Forderung
nach absoluter Mehrheit im ersten Wahlgang, wie heute üblich,
gab es seinerzeit noch nicht - also auch keine Stichwahlen. Wer am
Wahltag die meisten Stimmen bekam, der bekam auch das Amt.
Karl Lautenschlager indes, am 15.Mai 1868 in Stuttgart geboren und bei seinem Amtsantritt 43 Jahre alt, wurde unverschuldet zu einer tragischen Figur: Der erfahrene Jurist führte seine Heimatstadt durch die schwierige Zeit des Ersten Weltkriegs, durch die Goldenen Zwanziger mit ihrer Weltwirtschaftskrise sowie in die Anfänge der Nazizeit.
 1921
und 1931 wurde er von der Bürgerschaft mit hohen Mehrheiten wiedergewählt,
doch als Hitler 1933 die Macht übernahm und in
Stuttgart die strammen Nazis Wilhelm Murr und Karl Strölin die
Macht im Rathaus übernahmen, wurde Lautenschlager am 18. März 1933 rücksichtslos aus dem Amt gedrängt.
Zu dieser Zeit hatte der persönlich integre, stets ausgleichende Lautenschlager längst höchste Anerkennung in der Bürgerschaft gewonnen. Unter seiner Führung
waren
Obertürkheim,
Rotenberg,
Hedelfingen,
Kaltental,
Botnang,
Hofen und
die Stadt
Zuffenhausen
zu Stuttgart gekommen.
Der Oberbürgermeister hatte den Ausbau der Verwaltung in der immer weiter wachsenden Stadt kräftig vorangetrieben und das Gemeinwesen konsolidiert: Stärkung
der Technischen Werke und der Straßenbahn, Kauf der Villa Berg für die städtische Kunstsammlung, übernahme
der Badeanstalten in städtische Regie, Bekämpfung
der Wohnungsnot, Bau des neuen Hauptbahnhofs, des Neckarkanals und der Ausfallstraßen, um nur das Wichtigste zu nennen.
Bei seiner ersten Wahl ins Amt im Jahr 1911 hatte die Stadt 290.000 Einwohner, 1932 waren es 405.000 und 1939, bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, 496.000.
Nach 22 Jahren als Oberbürgermeister stand Karl Lautenschlager 1933 unversehens auf der Straße. Zwar blieb er im Dritten Reich Vorstandsvorsitzender der Straßenbahn, doch er wurde mittellos und verlor bei den schweren Bombenangriffen im Sommer 1944 sein Haus. Als der Krieg im Mai 1945 zu Ende ging, war Karl Lautenschlager bereits 77 Jahre alt - an eine neuerliche übernahme des höchsten
Amts der Stadt war also nicht mehr zu denken, schon gar nicht
angesichts der in allen Lebensbereichen so katastrophalen
Lage.
In dieser Situation setzten bekanntlich Franzosen und Amerikaner den gerade erst 40 Jahre alt gewordenen Anwalt und Nazigegner Arnulf Klett an
die Spitze des Rathauses. Dieser Arnulf Klett bat den greisen Karl
Lautenschlager spontan um Beratung und Mitarbeit. Mehr noch: Klett
setzte persönlich durch, dass Lautenschlager am 21. September
1945 in einer bescheidenen Zeremonie, die weithin Aufsehen erregte,
die Ehrenbürgerschaft verliehen wurde. Das war
eine große Geste, die einerseits Lautenschlagers hohe Verdienste würdigte und andererseits zeigte, über wieviel Verstand und Fingerspitzengefühl Arnulf Klett verfügte.
Am 6. Dezember 1952 ist Lautenschlager nach längerer
Krankheit in seiner Heimatstadt Stuttgart gestorben. tom
OB
Lautenschlager vor der Grabkapelle bei der Eingemeindungsfeier von Rotenberg
nach Stuttgart am 2. Mai 1931
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