Von all den Vororten Stuttgarts hat Obertürkheim die lieblichste
Südlage. Das Wohngebiet breitet sich an der Mündung des Uhlbacher
Tälchens ins breite Neckartal aus, im Talgrund heutigentags total
verändert durch den zum Kanal ausgebauten Flußverlauf, umsäumt
von Industrie-Betrieben, die, wenn auch teuer erkauft, ihren Mitarbeitern,
soziale Sicherung bieten.
Das hierorts derart werktätig gewordene Tal überragen schön
geformte Obst- und Weinberglagen. Am Berghang hinauf sind teilweise Weingärtner-
und Landhäuser in den Gärten angelegt; dadurch haben diese
Vororte, einschließlich Uhlbach mit dem Weinbau-Museum der Landeshauptstadt,
noch vielfach idyllisch wohnlichen Charakter.
Diese früher einmal allgemein so köstlich gelegenen Wohngebiete
dürften schon sehr früh besiedelt worden sein. Geht der Fußgänger
in Obertürkheim vom Tal, wo einst die Römerstraße war,
südöstlich die
gepflasterte Steige hoch, gelangt er vor dem Höhenort Rüdern
auf einem Grasweg zur Anhöhe des Ailenbergs, der geruhsam emporragt über
der Unruhe des Tales und der Gezeiten.
Hier wurde aus frühalemannischer Zeit um das Jahr 500 n. Chr. das
früheste Grab der Gegend, ein Grab mit fürstlichen Beigaben
im Jahr 1857 gefunden. Erneute Grabungen ergaben nochmals im Jahr 1978
reiche goldene Beigaben eines Fürstengrabes.
Von
der in verträumter Stille luftigen, aussichtsreichen Höhe
des Ailenberges gibt es die Sage vom Schlurker, einem Wein- berggeist,
der im Frühjahr unter Gerassel und Gelärm, gleich der Wilden
Jagd, über das noch kahle Hügelhaupt fährt... Sein Erscheinen
wurde als ein Zeichen für ein gutes Weinjahr gedeutet.
Die Gegend ringsum gehörte im früher Mittelalter den reichbe-
güterten
Grafen von Calw; Ober- und Untertürkheim be-
nannt nach Thüringern, die hierorts angesiedelt wurden. Bald schon
kamen die Orte an die Württemberger nahe ihrer Stammburg auf dem
Roten Berg. In ihrem Schutz waren die Benediktiner des Klosters Hirsau
und andere Klöster da begütert.
Eine Urkunde besagt: Der Graf
habe eine Mühle samt Weinberg zu Ober-und Untertürkheim dem
Kloster geschenkt. Dazu sei erwähnt, wie sich südöstlich
von Untertürkheim der dem Roten Berg vorgelagerte Mönchberg
rundlich erhebt; nahebei im Ort gibt es den sogenannten Mönchskeller.
Vielleicht gab es auch einmal über Obertürkheim, am Weg in
die Weinberghöhen und hinauf zum Württemberg, dort wo den Ort
die weißgetünchte Kirche im ummauerten Friedhof überragt,
wie einst im Stuttgarter Tal, eine Urbanskapelle, dem Schutzpatron der
Weingärtner geweiht? Aus jenen Zeiten wird berichtet, daß nach
dem Abzug Kaiser Rudolfs von Habsburg, nach der Belagerung Stuttgarts
im Jahr 1287, bei Obertürkheim ein Treffen zwischen dem württembergischen
Grafen Eberhard und der Freien Reichsstadt Esslingen stattgefunden habe.
Diese kriegerischen Auseinandersetzungen nahmen durch Jahrhunderte kein
Ende; in den Städtekriegen brannten die Reichsstädter die Ortschaften
nieder, zerstörten die Weinberge und Obstgehölze, und es entstand
gegenseitig immer wieder großer Schaden.
Die Grenze des Stadtgebiets von Esslingen verläuft ja heute noch
bis hinunter zum Bachgrund vom Asang zwischen Uhlbach und Obertürkheim,
deshalb gehört seit alters auch der schon genannte Ailenberg zu
Esslingen. Auf dieser Berghöhe sei einmal eine Burg gestanden mit
dem Ausguck der Reichsstädter gegen die Württemberger und deren
Feste auf dem Roten Berg.
Im Spätmittelalter baute dann auf dem
Ailenberg ein Bürgermeister der Reichsstadt den heute noch vorhandenen
Wartturm, im Volksmund Melacsturm geheißen, in Erinnerung an den
französischen General, der 1688 mit seiner Heerschar die Reichsstadt
besetzt hielt.
Auch im alten Ortskern Obertürkheims gibt es die
nach der Vertreibung des Herzogs Ulrich 1519 erbaute hochgelegene alte
Kelter. Somit sind wir nochmals beim Köstlichsten, was neben den
Beeren und dem Tafelobst über Ober- und Untertürkheim an den
Halden hochhinauf gedeiht: Beim Wein, den die Ausflügler und die
Einheimischen gerne trinken. Das sind die Trollinger und Urban mit ihrem
kernigen und würzigen Aroma, dem Bodengfährtle, erinnernd
an die roterdigen Keuperhänge, die im Frühjahr in Rosa- und
Silberblüten erglänzen, und im Herbst festlich golden im
Nebelduft.
Foto:Melac-Turm - Enslin