ROTENBERG: Am 1. Mai vor 80 Jahren feierte der Wengerterort seine Eingemeindung
Es war eine freiwillige Entscheidung, die lange reifen musste: Am 1. Mai vor 80 Jahren wurde Rotenberg zu Stuttgart eingemeindet. Mit einem Festakt am Fuß der Grabkapelle auf dem Württemberg feierten die Bürgerinnen und Bürger die Vernunfthochzeit. „Die damaligen Verantwortlichen hatten erkannt, dass unser kleiner Ort den neuen Herausforderungen nicht mehr allein gewachsen war“, erinnert sich der Rotenberger Heinz Berner.
Von Mathias Kuhn
Den 1. Mai 1931 hat der damals einjährige Heinz Berner selbst nicht miterlebt. Die Erinnerungen an den großen Tag sind jedoch noch frisch. Seine Eltern und der Großvater erzählten immer vom Fest auf den Stufen der Grabkapelle und den Überlegungen, ob die Rotenberger überhaupt ihre Jahrhunderte alte Unabhängigkeit aufgeben sollten. „Sie haben es keineswegs leichtfertig getan“, stellte der Festredner an der „silbernen Hochzeit“ im Jahr 1956 fest.
Erstmals urkundlich erwähnt wurde Rotenberg 1248. Fünf Jahrhunderte lang hat der Ort eine eigene Verwaltung besessen. Als Sinnbild dafür steht der Freibrief, den die Rotenberger 1478 von Graf Ulrich bekommen hatten. Darin gestand der Herrscher den Rotenbergern „in Ansehung des harten Sitz“ ein, niemand untertan sein zu müssen als allein dem Hause Württemberg. In der letzten Sitzung des Rotenberger Gemeinderats im Jahr 1931 händigte der stellvertretende Ortsvorsteher Gotthelf Lang den Freibrief an Stuttgarts damaligen Oberbürgermeister Karl Lautenschlager aus.
Anfang des 20. Jahrhunderts erkannten die Rotenberger, dass sie den Schulterschluss mit anderen Gemeinden suchen mussten. 1904/1905, als Cannstatt, Untertürkheim und Wangen sich mit Stuttgart verschmolzen, zeigte der Ort am Fuß des Württembergs Stuttgart noch die kalte Schulter.
Nach dem Ersten Weltkrieg ging Rotenberg dann auf Stuttgart zu. Stuttgart musste jedoch erst die Eingemeindung von Kaltental und Botnang verkraften. Rotenberg wurde dem Oberamt Esslingenzugeschlagen, fühlte sich aber Stuttgart zugetan. 1927 streckten die Rotenberger deswegen nochmals die Fühler aus. Der Eingemeindungsvertrag war 1929 auch unterschriftsreif, doch der Kreis Esslingen zierte sich, Rotenberg freizugeben. Erst im März/April 1931 einigten sich Esslingen und Stuttgart. Die Vernunftehe konnte eingegangen werden.
Am 1. Mai wurde die Eingemeindung des 660-Einwohner-Ortes feierlich vollzogen. „Unser Chor und die Schüler haben wochenlang geprobt. Da der damalige Rotenberger Schultheiß Dinkelacker krank war, übernahmen sein Stellvertreter Gotthelf Lang und Stuttgarts OB Lautenschlager die Moderation“, weiß Berner aus Erzählungen. Knitz habe Lang in seiner Ansprache Lautenschlager darauf hingewiesen, dass der OB jetzt auf dem Württemberg residieren und Rotenberg nun den Ort Stuttgart eingemeinden würde, wenn nicht einst Graf Eberhard seinen Sitz vom Württemberg nach Stuttgart verlegt hätte.
Wenngleich manche Rotenberger heute noch frotzeln, lieber wieder eigenständig sein zu wollen, hat der Stadtteil die Eingemeindung kaum bereut. „Als Geschenk bekam Rotenberg 1935 ein neues Rathaus inklusive Schulhaus sowie ein Lehrerwohngebäude. Zudem wurden Straßen und Feldwege neu gebaut“, weiß Berner.
Insofern behielt Lang recht, als er 1931 Schiller zitierte. „Immer strebe zum Ganzen. Und kannst Du kein Ganzes werden, als dienendes Glied schließ‘ an ein Ganzes Dich an.“