Willi Bleicher 1907 - 1981
"Der letzte große Arbeiterführer"
Aus
"METALL"-
"Landesseiten Baden-Württemberg
Ausgabe Oktober 1997
"Er ist bis heute Vorbild geblieben: Willi Bleicher, der frühere
Bezirksleiter der IG Metall in Baden-Württemberg. 1981 ist er gestorben.
Am 27. Oktober 1997 wäre er 90 Jahre alt
geworden.
Willi Bleicher
Bei vielen Metallerinnen und Metallern hängt Willi Bleichers Foto
noch immer an der Wand - in den IG Metall-Verwaltungsstellen genauso
wie in vielen Betriebsratsbüros. Häufig wird er zitiert, zum
Beispiel mit: "Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft,
hat schon verloren." Für die jüngeren Metallerinnen und
Metaller, die ihn nicht persönlich kannten, ist er Legende. Die
Älteren hat er mit seiner Persönlichkeit geprägt - bis
heute. Mit einer Veranstaltung am 27. Oktober gedenkt die IG Metall
dem "letzten großen deutschen Arbeiterführer",
wie Willi Bleicher von vielen genannt wird.
In dem Buch "Wir brauchen kein Denkmal" faßte der Stuttgarter
Journalisten Hermann G. Abmayr Leben und Wirkung Willi Bleichers in
aller Widersprüchlichkeit zusammen (Silberburg-Verlag, Stuttgart).
Der folgende Abschnitt daraus charakterisiert das Wesen des Gewerkschafters:
"Bleicher liebt Auftritte vor Arbeitern. Er kommt mit seinen Reden
meistens hervorragend an. Beifallsstürme sind keine Seltenheit.
Er packt seine Zuhörer bei ihrer Ehre, lobt ihrer Hände Arbeit
und geißelt die Unternehmer, die dafür nur Spott und wenig
Lohn übrig hätten. Er kann das soziale Elend der Welt so plastisch
und glaubwürdig darstellen, 'daß ältere Kolleginnen
manchmal Tränen der Rührung geweint haben', erinnert sich
Margot Maier (seine Sekretärin, d. Red.). Sie hält Bleicher,
der ein Gespür fürs Theatralische gehabt habe, 'für einen
der besten Redner der damaligen Bundesrepublik'. Er sei emotionaler
und glaubwürdiger gewesen als zum Beispiel Herbert Wehner, von
dem die junge Sozialdemokratin auch begeistert war. Doch Wehner habe
man eben 'den Politiker' angemerkt.
Bleicher wird als Redner nicht nur bewundert, sondern auch gefürchtet.
Er duldet kein Zurückweichen, wenn es darum geht, die Interessen
seiner Metaller und vertreten. Deshalb nimmt er wiederholt Betriebsräte
aufs Korn, die nur das Wohl des Betriebs im Kopf hätten und das
der Arbeiter vergäßen...
Wenn Willi Bleicher bei örtlichen Vertreter- versammlungen der IG
Metall auftritt, kann er die anwesenden Betriebsräte derart beschimpfen
und beleidigen, daß sie eigentlich empört den Saal verlassen
müßten. Aber keiner kommt auf die Idee; im Gegenteil: die
Gescholtenen applaudieren, jubeln dem Meister zu... Viele haben selbst
ein schlechtes Gewissen oder zumindest ein ungutes Gefühl, wenn
sie täglich mit den Unternehmern ... Kompromisse aushandeln; manche
genießen Priviligien und werden deshalb schief angesehen.
Doch von niemandem würden sie sich deshalb so niedermachen lassen
wie von Willi Bleicher. Ihm nehmen sie die radikale Rhetorik ab, 'denn
er hat vorgelebt, was er predigt'."
Aus: IG Metall Baden-Württemberg
http://www.bw.igm.de - mr10/1997
Thema der Recherche:
Willi Bleicher - sein Wirken als Widerstandskämpfer
Dieses Referat wurde für den Geschichtswettbewerb "Denk-Mal,
ein Mensch im Widerstand" des Hauses der Geschichte Baden-
Württembergs
angefertigt.
Willi Bleicher wurde am 27. 10. 1907 in Cannstatt bei Stuttgart geboren.
Er stammte aus einer einfachen Arbeiterfamilie. Sein Vater, Paul Bleicher,
hatte als Schlosser bei Daimler eine 8 - köpfige Familie zu ernähren.
Da sein Vater wenig Lohn erhielt, wurde die Versorgung der Familie zum
Problem; äußerst sparsame Mahlzeiten, ja sogar Hunger waren
keine Seltenheit. Obwohl die Familie in bescheidenen Verhältnissen
lebte, genoß er trotz der strengen Erziehung seines Elternhauses
eine wohl behütete Kindheit.
1914, kurz vor Beginn des 1. Weltkrieges, begann für Bleicher erst
recht "der Ernst des Lebens" - er wurde eingeschult. Seine Schullaufbahn
wurde von ihm als "Horror" empfunden, teils weil er von seinen Lehrern
oft zu Unrecht geprügelt wurde, teils weil er des Lernens überdrüssig
war. Das ist wahrscheinlich auch der Grund dafür, daß er
einmal das Klassenziel nicht erreichte. Trotzdem hatte er schon früh
unter seinen Freunden als Anführer einer Jugendbande das Sagen,
so teilte er z. B. beim Fußballspielen die Mannschaften ein.
Der junge Bleicher lernte schon früh die Angst vor der Arbeitslosigkeit
kennen, die Furcht selbst von hochqualifizierten Facharbeitern vor dem
"blauen Brief", das Zittern der Mütter vor jedem Freitag. 1920
erlebte Willi Bleicher zum erstenmal bewußt, was Streik und Aussperrung
für Arbeiter bedeuten können. Auch der Vater der verschuldeten
Familie war damals betroffen.
1923 beginnt Willi Bleicher eine Bäckerlehre. Dort tritt
er in die Gewerkschaft ein und wird bereits 1926 zum Jugendleiter
ernannt. Im KJVD und auch in der KPD organisiert er sich in politischen
Arbeiterbewegungen. 1929, nach seinem Ausschluß aus der KPD
wegen innerparteilicher Demokratie trat er der KPO (Kommunistische
Partei- Opposition) bei und unterstützte die Politik der Revolutionären
Gewerkschafts Opposition (RGO).
Von 1929 bis 1933 gehörte er zu den Millionen Arbeitslosen der
Weimarer Republik.
Unmittelbar nach der Machtergreifung Hitlers mußte der Kommunist
Willi Bleicher zunächst in die Schweiz, später nach Frankreich
emigrieren. Aber er wagte sich, obwohl er sich der Gefahr des Terrorregimes
der NSDAP bewußt war, immer wieder in den Machtbereich der Nationalsozialisten
zurück. Dies wurde ihm letztlich 1934 zum Verhängnis; er wurde
von der Gestapo wegen "Gefährdung der Staatssicherheit" und "Vorbereitung
zum Hochverrat" zunächst in das Gefängnis Stuttgart-Bad
Cannstatt in Untersuchungshaft gebracht.
In den siebziger Jahren äußerte sich Bleicher über seine
knapp zweijährige Untersuchungshaft folgendermaßen: "Ich
war irgendwie mal froh, daß ich eine Bleibe hatte. Ich hatte die
Emigration noch hautnah in Erinnerung, wo mich jeder lieber gehen als
kommen sah. Wo ich mir jeden Tag die Frage stellte, ob ich den wieder
hinter mich bringe, in einem Bett oder einem Dach. Hier hatte ich eine
Zelle, die war warm, ich hatte Literatur und konnte viel lesen."
Nach seiner Verurteilung zu 2 Jahren und 6 Monaten Haft wird Willi Bleicher
nach Ulm verlegt. Hier erfährt er im Gegensatz zur Stuttgarter
Haft eine brutale, unmenschliche Behandlung. Doch sein Leidensweg beginnt
1938 erst richtig für ihn, als er in das KZ Buchenwald eingeliefert
wird.
Gleich zu Beginn lernt er dort die Schikanen und Mißhandlungen
der SS - Wärter kennen. Im Lager wird er zusammen mit anderen politischen
Häftlingen in Block 37 eingeteilt.
Dort lernt er Robert Siewert kennen, der Reichsleiter der KPO in Berlin
war. Dieser wird im Laufe ihrer Haft zu seinem besten und wichtigsten
Freund. Teilen und Solidarität wurde unter den Häftlingen
groß geschrieben; Kleidungsstücke und Nahrungsmittel wurden
gegenseitig ausgetauscht. Dies war bei der strengen Aufsicht - im Lager
herrschte ein größerer Drill als in preußischen Kasernen
- nur durch guten Gemeinschaftssinn möglich. Ferner wurde schmuggeln
von einigen korrupten Wärtern gebilligt.
Willi
Bleicher selbst mußte schwer arbeiten. Mehrere Monate hob er Gräben
für Straßenbau und Wasserleitungen aus. Anschließend
verrichtete er Dachdeckerarbeiten.
Am 50. Geburtstag Adolf Hitlers wurden, als großzügige Geste
des Führers angelegt, 2300 Häftlinge aus dem KZ entlassen.
Unter diesen befand sich auch der bisherige Verwalter der Effektenkammer.
Da sich Bleicher während seiner ganzen Lagerzeit stets als ordentlicher
und gehorsamer Häftling erwiesen hatte, durfte er dessen Amt übernehmen.
Da er diese Position innehielt, konnte er bedürftige Mithäftlinge
mit der Kleidung verstorbener Häftlinge versorgen und fand deshalb
immer mehr Anerkennung und Sympathien.
Auch in diesen schweren Jahren bewies er großes Durchhaltevermögen;
er organisierte immer wieder Häftlingsrevolten, so zum Beispiel
im April 1945, und er engagierte sich in der Arbeiterbewegung. Er bewies
ebenso große Menschlichkeit; des öfteren unterstützte
er Häftlinge, die bereits am Zusammenbrechen waren, und so rettete
er diese vor dem sicheren Tod.
Sein ganzes Leben lang hindurch konnte er die Greueltaten und sinnlosen
Ermordungen Gefangener nicht vergessen und verarbeiten. Auch sein Privatleben
wurde durch das Naziregime zerstört, nach 11 Jahren Freundschaft
teilte ihm seine Freundin Helene Beck in ihrem letzten Brief an ihn
im KZ im Jahre 1940 ihre Trennung von ihm mit. Damit wurden auch seine
Pläne, eine Familie zu gründen, jäh durchkreuzt.
Zweifellos seine größte Tat war
die Rettung des knapp 3 - jährigen Knaben Stefan Jerzy Zweig
aus Polen. Bleicher fiel der blonde Junge sofort auf, und er wußte
sogleich, daß dieser
das Lager nicht überleben würde, denn die SS wollte nur Arbeitssklaven
und keine "nutzlosen Esser". Spontan entschied sich Bleicher, den
Knaben zu verstecken, obwohl er sich bewußt war, daß er
somit sein Leben aufs Spiel setzte.
Stefan
Jerzy Zweig stammte aus wohlhabenden Verhältnissen. Sein
Vater arbeitete als Rechtsanwalt. Zusammen mit seinem Sohn, getrennt
von der restlichen Familie, wurde er nach Buchenwald eingeliefert.
Dort wurden die beiden ebenfalls getrennt, und Willi Bleicher kümmerte
sich um "Juschu", wie er von den Häftlingen liebevoll genannt
wurde. Bleicher behandelte "Juschu", als wäre er sein eigener
Sohn. Obwohl Bleicher schon an die rauhe Umgangsform gewohnt war,
spielte er zärtlich
und mit viel Hingabe mit dem Kleinen.
Allerdings waren die ersten Tage besonders schwierig, da das Kind schwer
unter der Trennung von seinem Vater litt. Mithäftlinge warfen Bleicher
Disziplinlosigkeit und Abenteurertum vor, denn er habe ohne Rücksicht
auf Verluste vollendete Tatsachen geschaffen und nicht an die möglichen
Folgen gedacht. Trotzdem wird "Juschu" später von allen Häftlingen
geliebt. Im Herbst 1944 soll "Juschu" mit anderen Kindern zusammen nach
Auschwitz gebracht werden. Er kann aber dem Schicksal entrinnen, da
er in die Krankenstation wegen einer Thyphusinfektion aufgenommen wird.
Vermutlich gelang es Bleicher, den zuständigen Arzt zu bestechen,
so daß der Zug ohne Jerzy Zweig nach Auschwitz abfuhr.
Nach der Zerschlagung der Nazi - Diktatur und der Befreiung durch die
Amerikaner verlieren sich beide aus den Augen.
Bleicher widmet sich dem Neuaufbau einer demokratischen einheitlichen
Gewerkschaftsbewegung. Er distanziert sich vom Kommunismus, denn dieser
sei "die falsche Linke". Er selbst bezeichnet sich nun als Sozialist.
Zweig studiert nach dem Krieg in Frankreich und wird später Kameramann
beim ORF.
Die Rettung Stefan Jerzy Zweigs wurde
von dem DDR - Schriftsteller Bruno Apitz in seinem Buch "Nackt unter
den Wölfen" dokumentiert, das
später sogar verfilmt wurde.

Bruno Apitz (l.) mit Stefan Jerzy Zweig
Photographie
Buchenwald, 1964
DHM, Berlin
F 66/1192
Den Gewerkschaften schloß sich Bleicher gleich nach dem Krieg
wieder an. Nach kurzem Zerwürfnis mit den Metallern war Willi Bleicher
seit 1958 Bezirksleiter der IG Metall für den Tarifbezirk Nordbaden
und Nordwürttemberg. Als solcher bestimmte er weitgehend den Stil
der Auseinandersetzungen in der Metallindustrie des Gebietes, aber auch
darüber hinaus. Er vertrat rund 400.000 organisierte Metallarbeiter
und galt als starker Interessenvertreter.
Altershalber trat Willi Bleicher im Oktober 1972 in den wohlverdienten
Ruhestand. Mit ihm verschwand eine der markantesten Gestalten des DGB
von der Bühne der aktiven Gewerkschaftspolitik.
Auch als Pensionär hat er sich noch gelegentlich zu Wort gemeldet.
So warnte er zum Beispiel 1978 vor der in seinen Augen falschen Meinung,
der Faschismus sei endgültig tot. Er rief zu Wachsamkeit auf und
warf der Justiz vor, zuweilen wieder auf dem rechten Auge blind zu sein.
Im gleichen Jahr wurde er von der Internationalen Liga für Menschenrechte
mit der Carl - von - Ossietzky - Medaille ausgezeichnet.
Für seine vorbildlichen Leistungen durfte er auch auf dem "Berg
des Gedenkens" in Jerusalem ein Bäumchen pflanzen - eine Ehre,
die nur wenigen Deutschen zuteil wurde. Heute ist daraus ein großer
Baum geworden.
Im Alter von 73 Jahren starb Willi Bleicher Ende Juni 1981 nach kurzer,
schwerer Krankheit in seinem Wohnort in Stuttgart.
Willi Bleicher sollte uns heute als Vorbild dienen. Er mahnt uns stets
und macht uns Mut zugleich, sich gegen den wiederaufkommenden Faschismus
aufzulehnen und Unrecht zu bekämpfen. Nur so kann man
aus den Fehlern
der Vergangenheit lernen und verhindern, daß sich die Geschichte
wiederholt!
Quellen:
Hermann G. Abmayr: "Wir brauchen kein Denkmal"
authentische Zeitungsausschnitte, erhalten vom Presse-
und Informationsamt
der Bundesregierung
Verschiedene Dokumente von der Landeszentrale für politische Bildung
aus http://privat.schlund.de/m/mdbb/schule.htm
Weitere Links zu Quellen -
>> Hier weitere aktuelle Artikel zu Willi Bleicher und Stefan Jerzy Zweig >>
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Stuttgarter Zeitung, 13.03.1999
Willi-Bleicher-Büste beim Jahresempfang des
Gewerkschaftsbundes enthüllt
Wenn man in Stuttgart vom Gewerkschaftshaus spricht, dann eigentlich nie ohne den Zusatz "an der Willi-Bleicher-Straße".
Dort, an der nach dem Stuttgarter Gewerkschafter und Widerstandskämpfer benannten Straße, fand man bisher den Haupteingang des DGB-Hauses, der nach dem Umbau nun um die Ecke am Gustav-Heinemann-Platz ist. "Daß wir das Gewerkschaftshaus von der Willi-Bleicher-Straße nicht abkoppeln wollen, sieht man daran, daß im neuen Haupteingang eine von Klaus Mausner geschaffene und von der IG Metall gestiftete Büste von Willi Bleicher steht", sagte Wolfgang Brach (rechts), der Vorsitzende des DGB-Kreises Stuttgart-Böblingen, gestern abend beim Jahresempfang im Gewerkschaftshaus.
Die Büste enthüllte der IG Metall-Bezirksvorsitzende Berthold Huber (links) zusammen mit Bleichers Witwe Anneliese. Huber erinnerte an den legendären Gewerkschaftsführer, der von 1958 an Bezirksleiter der IG Metall in Nordbaden und Nordwürttemberg gewesen war und einen Ruf als harter Interessenvertreter hatte.
"Für uns junge Gewerkschafter war er in den 1960er Jahren die Person, die uns ansprach", sagte Huber. Auf dem Empfang, an dem unter anderen auch Bürgermeister Dieter Blessing, der SPD-Fraktionschef Rainer Kußmaul, die Grüne Landtagsabgeordnete Birgit Bender, der katholische Prälat Bernhard Kah und der Kreishandwerksmeister Helmut Kotz teilnahmen, war natürlich der Rücktritt Lafontaines Gesprächsthema.
"Daß die Opposition jetzt jubelt, war zu erwarten", sagte Brach, "bedenklich aber stimmt, daß mit dem Rücktritt die Börse anspringt und daß die Arbeitgeber jetzt von einem Neuanfang sprechen - einem Neuanfang in ihrem Sinne?" Brach bedauerte den Rücktritt des Saarländers ausdrücklich. "Für viele von uns war er der Garant für einen Politikwechsel, und er gab uns vor allem die Zuversicht, daß Arbeitnehmerinteressen ein gewichtiger Faktor in der Politik sind", sagte er. |
Wochenendbeilage 26.04.2003
Junge Welt - die tageszeitung - http://www.jungewelt.de/2003/04-26/031.php
Hans Daniel
Ein Lernprozeß ...
Willi Bleicher – der DGB Baden-Württemberg ehrte den Gewerkschafter und stiftete einen nach ihm benannten Preis
Am Freitag ist im Mannheimer Gewerkschaftshaus erstmals der »Willi-Bleicher-Preis« verliehen worden. Der DGB-Landesbezirk Baden-Württemberg hat ihn für vorbildliches Engagement gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Rassismus und für ein friedliches Zusammenleben gestiftet. Der Preis erinnert an den am 23. Juni 1981 verstorbenen IG-Metall-Funktionär Willi Bleicher, der noch heute als »eine der markantesten Gestalten des DGB« gilt. Mit Grauen erinnert man sich in Unternehmerkreisen, mit Respekt und Hochachtung dagegen in den Gewerkschaften an seine herausragende Rolle bei einem der größten Arbeitskämpfe in der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik. Vor 40 Jahren, im April/Mai 1963, hatten 100000 Metallarbeiter Baden-Württembergs zur Durchsetzung ihrer Lohnforderungen die Arbeit niedergelegt. Die Unternehmer antworteten mit der Aussperrung von 400000 Metallarbeitern. Bleicher, am 27. Oktober 1907 in Stuttgart geboren, war zu dieser Zeit Bezirksleiter der IG Metall von Baden-Württemberg. Die Totalaussperrung nannte er »totaler Krieg gegen die Metallarbeiter dieses Landes. Er ist so erbarmungslos wie jener, den diese Herren verloren haben«.
Einer, der diesen Krieg mit geführt und schließlich verloren hatte, war Hanns Martin Schleyer, damals Spitzenmann des bundesdeutschen Verbandes der Metallunternehmer und Führungsmitglied bei Daimler Benz, Initiator der flächendeckenden Aussperrung. Dokumente sagen aus, daß er im Oktober 1944 im okkupierten Prag zur Bereitschaft der SS-Hundertschaften gehörte und für den Dienst an der Heimatflak unabkömmlich war. Willi Bleicher saß zu dieser Zeit als entschiedener Gegner des Regimes im Konzentrationslager Buchenwald. Unmittelbar nach der Machtübertragung an die Faschisten im Januar 1933 hatte der 1929 aus der KPD ausgeschlossene Aktivist der Revolutionären Gewerkschaftsopposition (RGO) die illegale Arbeit gegen das Regime aufgenommen. Die war zeitweise mit Aufenthalten in der Schweiz und im noch von Frankreich besetzten Saarland geführt worden. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland wurde er wegen illegaler Arbeit gegen das Regime verhaftet und 1937 wegen »Gefährdung der Staatssicherheit« und »Vorbereitung zum Hochverrat« zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Im August 1938 erfolgte seine Überführung in das KZ Buchenwald.
Im Block 37 kam Willi Bleicher mit anderen politischen Gefangenen zusammen. Zeitweise war er Kapo in der Effektenkammer des Lagers, wo er ab 1944 das jüdische Kind Juschu (Stefan Jerzy Zweig) versteckte, das dreijährig mit seinem Vater ins Lager gekommen, von diesem aber getrennt worden war. Dank der Solidarität der Häftlinge konnte es gerettet werden. Bruno Apitz hat mit seinem Roman »Nackt unter Wölfen« dieser Rettungstat ein weltweit beachtetes Denkmal gesetzt.
Von Buchenwald aus wurde Willi Bleicher in das Gestapogefängnis von Weimar und dann ins Gefängnis von Ichtershausen verbracht. Dem von der Gestapo beschlossenen Tod konnte er im April 1945 nach barbarischen Foltern gerade noch entkommen. Das Ende des Krieges und die Befreiung vom Faschismus erlebte er in Eger, wohin er mit anderen Häftlingen verschleppt worden war.
Es war mehr als eine symbolische Handlung,
daß Willi Bleicher nach der Befreiung und der baldigen Aufnahme von Funktionen in der Gewerkschaft in Stuttgart-Luginsland in das Haus zog, in dem bis 1934 die Familie Schlotterbeck gelebt hatte. Eine Tafel am Haus gibt Auskunft darüber, daß Gotthilf und Maria Schlotterbeck sowie sieben weitere Antifaschisten am 30. März
1944 von den Nazis ermordet wurden. Bis zu seinem Tode fühlte Willi Bleicher sich der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) verbunden, die ihn 1967 zum Mitglied ihres Ehrenpräsidiums wählte.
»Wir brauchen kein Denkmal« ist der Titel einer Biographie über das Leben und Wirken dieses unermüdlichen Streiters, die im Stuttgarter Silberburg Verlag erschienen ist. Sie würdigt seinen konsequenten Antifaschismus ebenso wie seine mitunter recht derben Warnungen vor einem Zurückweichen der Gewerkschaften in der Auseinandersetzung mit dem kapitalistischen System. »Er duldet kein Zurückweichen, wenn es darum geht, die Interessen seiner Metaller zu vertreten. Deshalb nimmt er wiederholt Betriebsräte aufs Korn, die nur das Wohl der Betriebe im Kopf hätten und das der Arbeiter vergäßen«, heißt es in der Biographie. Deutlicher war er 1977 in einem Interview des Süddeutschen Rundfunks: »Sie begreifen noch nicht die diesem System innewohnende Anarchie. Sie begreifen noch nicht, daß der Grundwiderspruch in diesem kapitalistischen System einfach nicht gelöst werden kann. Und sie hoffen immer noch, daß ein paar Milliarden Investitionshilfe hier und dort die Dinge regulierbar machen. Natürlich, das ist auch ein Lernprozeß.«
Der Lernprozeß ist, wie sich zeigt, nicht abgeschlossen. Bleichers Lebensziel harrt noch der Erfüllung: »Eine andere, eine bessere Welt. Eine Welt, die sich nicht orientiert am Profit, sondern wo der Bedarf der breiten Massen im Mittelpunkt steht.«
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